Ein Stück Benin im Herzen

Impressionen der ersten Reise zur Bethleem-Ecole

Partnerschule des Ratsgymnasiums Bielefeld in Westafrika

vom 6. - 16. Oktober 2008

OStR' Kirsten Rottmann

 

Als mich Noel Dassou, Schulleiter der Bethleem-Ecole in Tokan, Benin, bei einem seiner Besuche am Ratsgymnasium zu einem Gegenbesuch herzlich einlud, konnte ich mir im Traum nicht vorstellen, diese Einladung einmal wirklich anzunehmen.

Es war kurz nach neun Uhr, der 6. Oktober 2008. Die ersten Herbstferientage waren schon vergangen.

Schulpartnerschaft mit der Bethléem-Ecole in Benin
Schulpartnerschaft mit der Bethléem-Ecole in Benin

Wie selbstverständlich hatte ich die Reise zum ersten Besuch der westafrikanischen Partnerschule für das 450. Jubiläumsjahr geplant – motiviert durch die in neun Jahren gewachsene Freundschaft zur dortigen Schulleitung, zu den Kollegen, den Schülerinnen und Schülern in der Dorfschule in Tokan, zu Dr. med. M. Babagbetho und nicht zuletzt beflügelt durch das große Engagement von Schüler- und Elternschaft des Ratsgymnasiums.

Die eigentlichen Reisevorbereitungen, wie die mehr als 10 Impfungen, Beantragung des Einreisevisums, Malariaprophylaxe und das sorgfältige Zusammenstellen einer speziellen, tropentauglichen Reiseapotheke, begannen bereits 10 Monate vorher zu Jahresbeginn.

Mein Gepäck bestand aus zwei Flugkoffern; einer davon war voll mit Briefen von Ratsschülern, Gastgeschenken, 600 Jubiläumsluftballons, der Festschrift, dem neusten Jahrbuch der SV und – natürlich – auch dem Gelben Heft der Ehemaligen.

Wir checkten über Paris nach Cotonou ein und die Reise begann. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie riesig dieser Kontinent im Vergleich zu Europa ist. Die Flugkarte zeigte Städte, die ich nicht kannte.

Nach 6 Stunden: die Landung. Das Rollfeld liegt am Meer. Beim Aussteigen schlug mir eine Welle feuchtwarmer Luft entgegen. Das Flughafengebäude ähnelte einem größerem Schuppen. Überall wimmelte es von afrikanischen Kofferträgern, die ihre Hilfe anboten. Reisepass, Visum und Impfpass wurden kontrolliert und hinter den Absperrungen sahen wir endlich Dr. med. Babagbetho in einem Arminia-Bielefeld-T- Shirt mit seiner Frau, Noel Dassou und weitere Freunde.

DED-Gästehaus in Cotonou
DED-Gästehaus in Cotonou

Nach einer herzlichen Begrüßung fuhren wir zu unserer Unterkunft beim Deutschen Entwicklungsdienst DED. Am ersten Tag machten wir uns auf zur Bethleem-Ecole.

Noel Dassou versicherte mir schon bei meiner Ankunft, dass sich dort alle auf mich freuten. Dr.med. Babagbetho holte uns ab. Auf den meist unbefestigten Straßen, auf denen sich Schlagloch an Schlagloch reihte, wurde kreuz und quer gefahren, ständig gehupt, und in der Luft lag ein stechend- beißender Benzingeruch.

Hinter der Millionenstadt Cotonou hörten die geteerten Strassen auf und es gab nur noch rote Pisten mit tiefen Schlaglöchern. Vorbei ging es an vielen einfachen Hütten ohne Strom und Wasseranschluss. An den Straßenrändern wurde aus großen Glasflaschen Benzin angeboten, Schmuggelware aus Nigeria. Frauen und Kinder verkauften alle möglichen Dinge, unter anderem Ananas, grüne Orangen, Bananen, Handy-Karten, Taschentücher und Briefumschläge. Fasziniert war ich von den afrikanischen Frauen, die für mich dabei eine große Würde und Eleganz ausstrahlten. Als das Auto an dem mir von Fotos gut bekannten Hinweisschild Complexe Scolaire Bethleem Ecole private abbog, konnte ich meine Aufregung kaum mehr verbergen. Am Schultor hatten die Schülerinnen und Schüler eine Gasse gebildet, klatschten und sangen.

Empfang in der Bethléem-Ecole in Tokan
Empfang in der Bethléem-Ecole in Tokan

Ich ging an den Kindern vorbei auf den Schulhof und konnte nach neun Jahren zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen, was unsere vielen Aktionen, Basare, Kollekten hier hatten entstehen lassen. Viele Schülerinnen und Schüler erkannte ich sofort von Fotos.

 

Fröhliche Begrüßung auf dem Schulhof
Fröhliche Begrüßung auf dem Schulhof

Jetzt war es an der Zeit, einige Worte zur Begrüßung zu sprechen und die offiziellen Gastgeschenke vom Ratsgymnasium zu übergeben.

 

Übergabe der Festschrift an den Schulleiter
Übergabe der Festschrift an den Schulleiter
Freude über die Jubiläumsluftballons aus Bielefeld
Freude über die Jubiläumsluftballons aus Bielefeld

Das ausgesprochen nette Lehrerkollegium hatte sich in besonderem Maße über eine Art Jahrbuch der Bethleem-Ecole gefreut, welches Ratsschüler in Anlehnung an das Layout unseres Jahrbuchs gestaltet hatten.

Nach meinem Empfang wurde der normale Unterricht wieder aufgenommen und ich hatte Gelegenheit, jede einzelne Klasse zu besuchen.

Unterrichtsbesuch an der Bethléem-Ecole
Unterrichtsbesuch an der Bethléem-Ecole

In den beiden Abschlussklassen fand Deutschunterricht statt, und ich war beeindruckt von guter Aussprache und wohl überlegten Fragen. In beiden Räumen wurde ein Poster vom Ratsgymnasium mit den Fotos aller Schüler und Lehrer aufgehängt.

Viele freuten sich, ihren Briefpartner darauf wieder zu finden.

Nachdem ich dann den Kindergarten, die Schlafräume der Waisenkinder, die Schulküche, die von Müttern geleitete Cafeteria und Pausenverpflegung besucht hatte, zeigte mir Noel Dassou die neuesten Entwicklungen. Bio/Chemie-Fachraum mit Mikroskop, Experimentier-Schrank, Toilettenanlage mit Wasserspülung und eine Wasserentnahmestelle am Schultor, die es ermöglichte, dass alle Schüler ihre Wasserflaschen befüllen konnten beim Kommen oder Gehen. Mit den Fotos aus den Anfängen im Kopf, war es überwältigend, die Entwicklung der Schule zu sehen.

Blick auf den Schulhof der Bethléem-Ecole
Blick auf den Schulhof der Bethléem-Ecole

Diese Schule hat inzwischen Modellcharakter und wurde in ihrer Anlage vielleicht nur noch vom SOS-Kinderdorf in Cotonou übertroffen.

Zum Abschluss dieses ersten Besuches wurden wir zur Besichtigung der Werkstätten eingeladen und bekamen von den Müttern aus der Cafeteria als Erfrischung Mineralwasser aus der Flasche angeboten.

 

Besuch der benachberten Houéto-Schule
Besuch der benachberten Houéto-Schule

Das weitere Tagesprogramm sah eine Fahrt zur Krankenstation von Dr. med. Babagbetho in Womey vor. Noel Dassou begleitete uns und bat uns um eine kurze Visite der Dorfschule in Houeto.

Dort trafen wir auf eine couragierte Schulleitung, die voll Stolz ihre zwei Grundschulklassen präsentierte. Die Schulkinder der ersten Klasse saßen auf dem Boden. Die Zweitklässler teilten sich zu fünft eine Schulbank. Das gesamte Gebäude war aus Palmwedeln und getrockneten Bananenblättern errichtet, und auf den ersten Blick sah man, dass das Dach während der Regenzeit keinen ausreichenden Schutz bietet.Hier sah ich auch zum ersten Mal Kinder mit Hungerbäuchen und rötlich schimmernden Haaren - immer ein Zeichen von Mangelernährung.

Empfang in der Krankenstation von Dr. med. Babagbétho
Empfang in der Krankenstation von Dr. med. Babagbétho

Über holprige roten Sandpisten erreichten wir nach 10 Minuten die Ausbildungstätte der Bethleem-Ecole, die Krankenstation.

In adretten weißen Kitteln hatten sich die Schwesternhelferinnen und die zwei Laboranten vor dem kleinen Hospital aufgereiht. Es war eine unbeschreibliche Freude, Dr. med. Modeste Babagbetho und seine Frau Claire, die hier als Hebamme arbeitete, an ihrem Wirkungsort zu treffen.

Wir wurden durch die Räumlichkeiten geführt. Schockierend war für mich die so genannte Notaufnahme. Sie bestand aus einem Holztisch, auf dem lediglich eine rote Lackdecke lag.

Dr. med. Babagebétho und einige seiner Patienten
Dr. med. Babagebétho und einige seiner Patienten

Einige Gehminuten entfernt liegt Dr. med. Babagbethos Aidsstation, in die Patienten meist nur in der Dunkelheit aus Scham und Scheu zur Behandlung kommen. Dr. Babagbetho leistet diesen Einsatz für seine Patienten ehrenamtlich; seine eigentliche Funktion ist Chefarzt in Krankenhaus von Cotonou.

Zum Tagesabschluss waren wir bei den Babagbethos zum Essen eingeladen. Es gab typisch afrikanische Spezialitäten wie Kochbananen, Gari, Reis, Hähnchen, Ananas und scharfe Tomatensauce.

In den folgenden neun Tagen besuchten wir noch viele andere Projekte, die der Alodo Verein unterstützt.

Die weit im Busch liegende Dorfschule in Loko Sassavi, wir trafen eine Kolpingdelegation in Agbantho, mit der wir Projekterfahrungen austauschten, wir fuhren in die Hauptstadt Porto Novo zur einzigen integrativen Gehörlosenschule des Landes und waren zu Besuch beim deutschen Botschafter, Herrn Linden, der sich mit großem Interesse von den Projekten aus Bielefeld berichten ließ.

Zwei weitere Male waren wir darauf in der Bethleem-Ecole und in der Krankenstation zu Gast, erlebten in der Schule die Eröffnung einer weiteren Ausbildungswerkstatt, in der Fotografen ausbildet werden, und aßen mit den Schulkindern.

Zum Abschied bekam ich als Jubiläumsgeschenk für das Ratsgymnasium einen handgewebten Banner mit der Aufschrift - 9 Jahre Bethleem-Ecole – 450 Jahre Ratsgymnasium- und zwei holzgeschnitzte Figuren überreicht von einen alten Mann, der symbolisch für das Alter unseres Gymnasiums steht, und eine Frauengruppe, die versucht, die Löcher in einem tönernen Wassergefäß zu stopfen. Zeichen für die vielfältigen Hilfen unserer partnerschaftlichen Unterstützung.

Abschied und Geschenke für das Ratsgymnasium
Abschied und Geschenke für das Ratsgymnasium

Ich bin sehr dankbar für die vielfältigen Erfahrungen dieser Reise.

Ganz besonders ergreifend waren die persönlichen Begegnungen mit den Schülerinnen und Schülern der Bethleem-Ecole.

So mit den Waisenkindern Emmanuel Sossa Sagbo, Hodonou und Julien Dade.

Mit ihnen habe ich lange gesprochen.

Ich habe ihre Augen leuchten gesehen, als sie von ihren Freunden in der Schule und von ihren Erfolgen bei den letzten Klassenarbeiten sprachen. Zur Verabschiedung haben sie für uns getanzt und gesungen. 

Bewegt haben mich auch die Erfahrungsberichte HIV-infizierter Frauen, die oftmals von ihren Männern im Stich gelassen oder bereits Witwen waren. Ihr Mut, sich zu ihrer Krankheit zu bekennen und davon zu erzählen – auch im Rahmen von Aufklärungsarbeit an Schulen – hat mich tief beeindruckt.

Die Fröhlichkeit und Zufriedenheit der Beniner, die trotz schwierigster Lebensbedingungen, auch was sanitäre und hygienische Verhältnisse betrifft, immer ein Lächeln auf dem Gesicht tragen, haben mich tief bewegt. Diese Eindrücke haben all das, worüber wir uns täglich sorgen und beklagen, in ein anderes Licht gerückt.

Der schwerste Moment der Reise war der Abflug. Alle Freunde und Projektleiter waren zum Abschied zum Flughafen gekommen. Als das Flugzeug schließlich abhob, fiel mein Blick aus dem Fenster auf die funkelnden Lichter aus den vielen kleinen ärmlichen Hütten Cotonous.

Zurück kam ich mit zwei fast leeren Koffern. Die meisten Sachen verschenkte ich vor Ort. Meine Reiseapotheke ließ ich in der Krankenstation. Dabei hatte ich jetzt schöne kunsthandwerkliche Dinge für unseren Weihnachtsbasar und die Geschenke für unser Gymnasium.

Es dauerte einige Zeit, bis ich mich wieder mit unseren europäischen Lebensverhältnissen arrangiert hatte. Was bleibt, ist ein Stück Benin in meinem Herzen - und die Freude über das andauernde Engagement der Ratsschüler für ihre Partnerschule in Westafrika !